Von wegen Einnivellierung der europäischen Universitäten!
Über Adresscomptoir bin ich auf folgenden Artikel aufmerksam geworden: Einnivellierung der europäischen Universitäten. Dieser passt sich nahtlos in die aktuelle Kritik am Bolognaprozess ein.
Peter Riedlberger, der Autor, argumentiert, dass es in Europa verschiede nationale bzw. regionale Ansätze der Hochschulpolitik gibt. Während man in Deutschland sehr viel Freiheit hat, bzw. bis Bologna hatte, in seinem Studium Schwerpunkte zu setzen und es relativ einfach war seine Pflichtscheine zu bekommen, basiert die höhere Bildung in vielen südosteuropäischen Ländern auf dem Besuch von Vorlesungen und dem stupiden Auswendiglernen. Wobei die Kritik an der starken Verschulung der Universitäten im Ausland berechtigt ist und sich mit meinen Erfahrungen im Auslandssemester deckt.
Auch das Erasmusprogramm, welches die Anerkennung und Organisation eines Auslandssemesters erleichtert und somit für steigende Auslandssemesterzahlen sorgen soll, wird von ihm kritisiert und als Wegbereiter des, aus seiner Sicht, scheiternden Bolognaprozesses charakterisiert. Es würde den Studenten zu einfach gemacht ins Ausland zu gehen. Die Gründe dafür, dass so wenige ein Auslandssemester einlegen würden, zählt Riedlberger wie folgt auf:
Allgemeine Bequemlichkeit, persönliche Situation (Was wird aus der Wohnung oder dem Wohnheimplatz? Gute, langfristige Arbeitsstelle; enge Beziehung, die nicht riskiert werden soll), finanzielle Gründe, mangelnde Bereitschaft, sich mit einer Fremdsprache auseinander zu setzen usw.
Das jedoch finanzielle Gründe mit mangelnder Bereitschaft gleichgesetzt werden, kann ich beim besten Willen nicht nachvollziehen! Auch wurde die ganze Problematik der Anerkennung der Studienleistungen aus dem Ausland verschwiegen. Was nicht ganz unwesentlich ist, wenn man bedenkt, dass Bachelorstudiengänge in der Regel nur 6 Semester und Masterstudiengänge nur 4 Semester an Regelstudienzeit haben! Auf der anderen Seite führt er an, dass gerade das Erasmusprogramm dazu führen würde, dass extrem organisationsfaule Studenten ein Urlaubssemester einlegen könnten, da die Organisation zu einfach sei und praktische keine Fremdsprachenkenntnisse verlangt werden. Auch hier sehe ich Übereinstimmungen mit meinem Auslandssemester, in dem ich tatsächlich auf Studenten traf die schon Scheinfrei waren oder das Auslandssemester nur für den Lebenslauf brauchen und deshalb keine Credits sammelten. Diese Studenten stellte aber eine verschwindend geringe Minderheit da!
Im folgenden nutzt Riedlberger die aufgebaute Argumentationskette von der wegfallenden Freiheit der Studenten über die verschulte Hochschule und das urlaubsfördernde Erasmusprogramm ultimativ dazu, das System der Vorlesungen in Frage zu stellen!
Studenten müssen heute überall, eben auch in Deutschland, öde Vorlesungen absitzen und danach Klausuren bestehen, um damit „Credits“ zu erwerben. Dabei ist die Vorlesung die albernste alle universitären Unterrichtsformen. In der Zeit, die man in der Vorlesung verbringt, könnte man auch ein Standardwerk zu dem entsprechenden Thema lesen. Ein Fachbuch bietet unendlich viele Vorteile gegenüber der Vorlesung. Das einzige Argument für Vorlesungen ist: „Wenn ich Leuten zuhöre, kann ich mir Sachen besser merken, als wenn ich sie lese“; doch wer dieses Argument ins Feld führt, sollte sich ernsthaft überlegen, ob er überhaupt an einer Universität richtig aufgehoben ist.
Was der Autor dabei jedoch verkennt ist die nicht vorhandene Anwesenheitspflicht bei Vorlesungen. Es wird kein Student gezwungen eine Vorlesung zu besuchen, teilweise wird es uns sogar ans Herz gelegt die Vorlesung bei mangeldem Interesse zu verlassen. Wenn ein Student also im selbständigen Lernen den Stoff der Vorlesung be- und erarbeiten kann, steht es ihm frei dies zu tun. Das am Ende eines Semesters jedoch eine Klausur steht, die das geforderte Wissen abfragt, liegt in der Natur der Sache und wird sich wohl kaum ändern!
Sehr interessant sind auch die Reaktionen auf diesen Beitrag im zugehörigen Forum selbst, vor allem der Beitrag von Mr Mo zur Verallgemeinbarkeit. Mr Mo analysiert den Riedlbergertext recht anschaulich und stellt ihn seinen Erfahrungen in den Naturwissenschaften gegenüber, diese stehen den verallgemeinerten Ausführungen Riedlbergers -kaum verwunderlich- diametral gegenüber. Mr Mo schließt mit folgender, sehr passenden, Frage ab:
hat hier womöglich ein (ehemaliger) Journalistik Student die
Befürchtung, zukünftige Studenten können das Feierabendbier oder die
morgendliche Kaffeepause nichtmehr als wichtigen (akademischen) Teil
ihres Studiums hinstellen da es keine Credits bringt… ;-)
Alles in allem ist die Kritik an der europäischen Hochschulpolitik nichts weiter als ein schlechter Rundumschlag der abermals behauptet, dass der Bolognaprozess ein Fehler war und sich die Qualität der europäischen Universitäten verschlechtert. Echte Argumente gegen die neuen Bachelorstudiengänge? Fundierte Ausführungen zum Scheitern des Bolognaprozesses? Lösungsansätze? Fehlanzeige! Nichts ausser verbittertes Gerede Geschreibe!
Christian
13:25 am 10. Mrz 2008
Zu kritisieren, dass es Credits für das Besuchen von „albernen“ Vorlesungen gibt, ist in der Tat äußerst merkwürdig und von mir als ehemaligem Studenten, der mit Vorlesungen immer gut gefahren ist, kaum nachvollziehbar… Wer den Besuch von Vorlesungen grundsätzlich ablehnt ist an einer Universität vielleicht auch nicht richtig aufgehoben :-)
Was mich am Bachelor stört ist die starke Einschränkung der Freiheit von Forschung und Lehre durch die für die Akkreditierung benötigten Dokumente, die dem Dozenten kaum noch Spielraum lassen, in seiner Vorlesung auf aktuelle Entwicklungen im Fachgebiet einzugehen, da alles „abgearbeitet“ werden muss, was für die Akkreditierung aufgeführt wurde….
MrOrange
14:42 am 10. Mrz 2008
Über die Hintergründe der Akkreditierung von Vorlesungen kann ich nichts sagen, aber solange Vorlesungen Grundwissen vermitteln welches in Seminaren und Übungen dann „ausgebaut“ werden können, habe ich gegen Vorlesungen nichts einzusetzen!
Richtig ist aber, das Vorlesungen, so langweilig sie meist sind, zum Studentenleben und Universitätsalltag gehören. Wobei es jedoch jedem freisteht, ob er eine bestimmte Vorlesung besucht oder nicht. Ganz einfach also.